Besuch in der Klavierbauwerkstatt
Kommt man von Rissen, biegt man von der Elbchaussee links in einen kleinen Gewerbehof. „Klaviere Bader“ steht auf einem Schild neben der Einfahrt, aber zunächst findet man nur eine Tischlerei. Rechts am Ende des Hofes erkenne ich denselben Firmenschriftzug auf einem Kleintransporter, also bin ich richtig. Da scheint jemand also auf Äußerlichkeiten keinen Wert zu legen, alles sieht nach Arbeit aus, sachlich. Ich betrete die Geschäftsräume und stehe unvermittelt zwischen einer stattlichen Anzahl von Instrumenten, die angeordnet sind, als stünden sie zur Auslieferung bereit, und dennoch scheint dies der „Showroom“. Ich erinnere mich an einen alten Werbespruch: „Keine Mark für die Werbung, jede Mark für das Produkt“. Aus einem angrenzenden Raum dringen Arbeitsgeräusche. Hier also ist die Werkstatt. Wieder viele Instrumente, aber diesmal in unterschiedlichem Bearbeitungszustand: Flügel ohne gänzliches Innenleben als reiner Holzkorpus, ausgebaute Mechaniken, offene Klaviere mit Blick auf die Saiten, ein Grußrahmen an der Wand und ein Tisch voller Einzelteile, gerade so wie bei einer auseinandergebauten Uhr, nur eben aus Holz und größer.
Mitten in diesem Raum steht ein verschmitzt lächelnder Mann, schaut um sich, als wolle er sagen: „Sehen Sie, ich behalte hier den Überblick“ und begrüßt mich mit bescheidener Geste: „Bader. Schauen Sie, hier arbeite ich!“ Das Ensemble wirkt auf mich wie eine Mischung aus Tischlerwerkstatt und Instrumentenfriedhof. Waldemar Bader lacht, als er meine leichte Irritation spürt. „Ja, viel Arbeit, das alles muss wieder neu und klingend werden.“
Ich begreife schnell: hier geht es nicht um den schönen Schein, hier geht es um eine Idee, um viel Arbeit, hier geht es um die Sache selbst. Und die „Sache“ ist der ideale Ton! Aber warum durch alte Instrumente? Bader erklärt: „Schauen Sie! Industrielle Produktion liefert industrielle Ergebnisse, halbwegs stabil, aber meist ohne Gesicht, ohne Individualität, eben Klang von der „Stange“, sitzt irgendwie wie ein mittelmäßiger Anzug, aber passt nicht wirklich. Natürlich kann eine asiatische Serienproduktion da scheinbar günstig sein, macht aber am Ende keine Freude. Ein Instrument muss beim Spielen wie ein Partner sein, muss antworten, aber wenn die Antwort ausbleibt, ist bald auch die Freude vorbei. Viele verlieren die Lust am Musizieren, weil das Instrument nicht passt.“ Und deshalb machen Sie sich diese viele Mühe, lohnt das? „Die Zeit des Übergangs vom 19. ins 20. Jahrhundert war die Hochzeit der Klavierbaukunst in Deutschland und damit weltweit führend. Aus dieser Zeit stammen die meisten Instrumente, die ich restauriere, und ich meine damit nicht “überarbeiten“, also „alt“ raus und „neu“ rein. Alles bleibt so original wie möglich, nur die Verbindungen der beweglichen Teile wird erneuert, dazu alles, was dem Abrieb unterliegt, z.B. der Filz der Hammerköpf, die Saiten, Lederplättchen usw. Und dann wird justiert, reguliert, geschliffen, der Filz bearbeitet – oder auch wieder durch ganz anderen ersetzt, bis ein Instrument seinen individuellen, idealen Ton produziert. Das ist ein Vorgang aus unzähligen Arbeitsschritten und Entscheidungen, das kann ich gar nicht erklären, das ist einfach Erfahrung, ganz viel Mühe, Geduld, die Liebe zur Musik und viel Leidenschaft. Manchmal dauert dieser Prozess Monate.“
Ich liebe, was ich tue...
„Herr Bader, kann man diese Arbeit eigentlich bezahlen?“ „Am Ende kostet das alles oft weniger als ein neues Instrument, obwohl eine professionelle Restaurierung fast einen Neuwert schafft. Aber Sie haben recht, ich darf nicht erwarten, dass mein Idealismus bezahlt wird und ich kann sagen, dass Ich neben meiner Arbeitszeit auch meine Freizeit investiere. Aber Geld ist nicht alles. Ich gebe zu, als harter Geschäftsmann wäre ich falsch. Ich kann von meiner Arbeit leben und ich liebe, was ich tue. Und dann macht es viel Freude, wenn Menschen kommen, die meine Arbeit verstehen und schätzen. Vor drei Jahren kam ein Mann zu mir, ein begeisterter Amateur-Pianist, setzte sich mal dies Instrument, mal an ein anderes. Das dauerte mehrere Monate. Dann fuhr er durch die halbe Bundesrepublik, spielte auf vielen alten und neuen Flügeln, besuchte sogar bedeutende Klavierbaufirmen, bis er bei Blüthner in Leipzig ein wunderbares Instrument fand mit einem wunderschön singenden Ton, aber für ihn unerschwinglich. Der Ton erinnerte ihn an ein Instrument, an dem er schon einmal saß. Er kam wieder, setzte sich an meinen restaurierten Grotrian-Steinweg aus dem Jahr 1909 und wusste: das ist der Ton! Heute gehört dieses Instrument ihm und er würde es nie mehr gegen ein anderes Instrument eintauschen, höchstens gegen einen echten „Bader“. Was kann ich mehr wollen. Heute sind wir gute Freunde!“